Dienstag, 25. August 2015

Lost in Translation

Zugegeben, die Überschrift für diesen Post ist nicht sehr einfallsreich. Aber der Film von Sofia Coppola von 2003 beschreibt es ziemlich gut, wie man sich als Ausländer in Tokyo fühlt - um einen herum wabbern fremde Schriftzeichen, die eher Kunstwerken als Schrift gleichkommen. Die Straßen sind, befindet man sich nicht unbedingt in einem Wohnviertel, voller Menschen. Von überall her blinken Lichter und locken einen mit Angeboten,  Essen und Konsumartikeln.






Unter den vielen Kanjizeichen befinden sich hin und wieder Lateinische Buchstaben. Von einer Modemarke namens "Anne Sophie" ist hier die Rede. Noch nie gehört?! Kein Wunder, japanische Marken geben sich europäische oder westliche Namen um an der Exklusivität und Luxusmarken á la Gucci, Chanel und Louis Vuitton anzuknüpfen. Stolz tragen Japanerinnen, welche uns entgegenkommen eine Chaneltasche mit sich. Wo sich einst wahrscheinlich ein kleines Tüchlein oder ein Portemonnaie befand, sieht man nun Plastikverpackungen und zerrissene Cellophanfolie hervorragen. Das ist es, schaut her, ich habe mal etwas bei Chanel gekauft! Wenigstens erhält die Tasche noch einen Sinn, den Mülleimer sind rar gesät - in einer Stadt, die von dem Konsum lebt und ihn wie eine Gottheit verehrt. Ich bin mit S und I unterwegs, letztere ist unsere Dolmetscherin. Sie studiert hier ein Jahr und führt uns durch eine der interessantesten Städte des Globus.


Der Strom der Menschen trägt uns weiter durch Tokyo. Shibuya, Menschen überqueren eine Kreuzung. Bis zu 1000 Menschen sollen pro Grünphase hier die Straße überqueren. Unvorstellbar? Nicht in einer Stadt die wirklich nie schläft. Scheinbar ist die Straße doch nicht für Autos und Busse sondern für die Menschen gemacht. Erstaunt geht es weiter in den Starbucks, der werbewirksam einen Laden an DER Kreuzung Japans hat. Wir stellen uns an der Schlange in dem Erdgeschoss des Starbucks an, oder wie es in Japan normal ist, dem ersten Stock. Bald ist Sakura, also Kirschblütenzeit. Quasi das Ostern des Ostens. Nur ohne bunte Eier - dafür mit dem unbeschreiblichen Rosapink der Kirschblüten, das zu dieser Zeit an jeder Ecke des Landes omnipräsent zu sein scheint. Wir bestellen Sakura-Latte. Eigentlich ein Latte Macchiato nur mit Sakurasirup im Kaffee und oben auf dem Milchschaum. S schicken wir hoch, sie möchte schonmal Plätze reservieren und endlich ihre schmerzenden Füße ausruhen. Das ist wahrscheinlich der größte kleine Starbucks, den ich je gesehen habe. Wir fühlen uns wie Sardinen in der Büchse, ein Mitarbeiter fragt was wir gerne möchten, I antwortet für mich und bestellt. Ich gebe ihr einen 1000 Yen Schein und zusammen warten wir darauf, dass unsere Bestellung fertiggestellt wird. Wir sehen die Becher mit den kryptischen Zeichen des Verkäufers durch mehrere Hände weitergehen. Mittlerweile schmerzen meine Füße auch etwas, das anstehen gibt ihnen nun den Rest. Ich hoffe inständig, dass S einen Platz ein Stockwerk höher gefunden hat. Mit I diskutiere ich derweil, was Starbucks für diesen Laden in dieser Lage bezahlt. Wir vermuten Unsummen. Ein unrentables Geschäft, aber das holt sich die amerikanische Kette sicherlich über andere Läden wieder rein. Mit zwei heißen Sakura-Lattes und einem normalen Kaffee gehen wir die kleine Treppe hoch, es kommen uns immer wieder Menschen entgegen, ich versuche nichts zu verschütten. Oben angekommen winkt uns S entgegen, sie sieht erschöpft aus, genauso wie ich mich grade fühle. Aber sie hat einen kleinen Stehtisch mit zwei Hockern ergattert. Wir schauen uns um und entdecken noch einen, den wir entführen dürfen. "Leider kein Fensterplatz mehr, die sind einfach immer besetzt", sagt S laut, der Raum ist gefüllt mit fremden Lauten und Stimmgewirr. Tatsächlich, es stehen dort mehr Barhocker an dem Fenstertresen, als eigentlich sollten. Japaner und Ausländer schauen hier hinaus auf die Kreuzung, der Kaffee ist eindeutig Nebensache. Aber  das ist nicht zu verdenken, ein paar Meter weiter unten tummeln sich mehr Menschen als unsere alte Schule Schüler hatte. Auch wir sind gefangen in dem Bann der Straße, gefesselt von den blinkenden Werbetafeln. Shibuya-Station, besonders berühmt ist ja auch Hachiko, der Hund, der immer auf sein Herrchen wartete, selbst als dieser starb. Eine lebensgroße Bronzestatue steht vor der Station und ist geduldiges Fotomotiv für die selfieverrückten Souvenirjäger. Ein beliebter Treffpunkt für junge Menschen.



Ich nehme einen Schluck des süßen Kaffees. So schmeckt also Sakura, fast verbrenne ich mir die Zunge. Genug Zauber für diese Minuten, jetzt zücken wir fast zeitgleich die Smartphones. Internet! Es hat uns wieder! Das beste an Starbucks hier im fernen Osten. Wir kämpfen uns an eine freie Glasfläche,  ich schieße Fotos von Shibuya und kämpfe mit der Spiegelung des Fensters. S dreht derweil Videos und versucht sich an Panoramafotos, das glaubt einem nachher ja sowieso keiner! Mit einer Fotoapp versuche ich meine Schnappschüsse zu bearbeiten und lade es schließlich auf Facebook hoch. So nah mir meine alte Welt dort auch sein mag, ich bin tausende Kilometer entfernt. Ich schreibe ein paar Nachrichten an meinen Freund, der ja sowieso durch Zeitverschiebung und Co. viel zu kurz kommt. An die Familie "Macht euch keine Sorgen, mir geht es super! Die Stadt ist fantastisch, hier schaut wo ich grade bin!! Bitte sagt das auch den anderen."


Immer mehr Menschen drängelnd sich hoch, jeder freiwerdende Platz hat zwei neue Interessenten, die nur darauf warten, ihren Beinen auch endlich etwas Erholung zu gönnen. Langsam wird es Abend und der Himmel färbt sich in eine Mischung aus Rosa und dunkler werdendem Blau. Selbst wenn die Natur hier so fern ist wie ich von meinem Zuhause entfernt bin, zaubert sie doch die beste Kulisse. Zusammen reden wir über diesen Tag, es fallen natürlich Adjektive wie "unglaublich" "fantastisch" "unbeschreiblich" und "verrückt". Aber eigentlich wollen wir jetzt nicht sprechen, wir sind zu kaputt und zu sehr gefangen in den Fängen Tokyos.




I wird uns gleich verlassen, wir sollen aber ihr iPhone bekommen um uns zu orientieren. Ok, anders wären wir auch verloren! Nacheinander geht jeder nochmal schnell auf die Toilette, dann trennen sich langsam unsere Wege. S und ich wollen noch kurz durch ein paar Straßen schlendern, in einigen der vollgepackten Läden schauen und einfach nur staunen. Die Neugier siegt über die Müdigkeit und die Gewissheit, das wir eine halbe Stunde mit der Ubahn zum Hotel fahren müssen. Mit Umstieg, ein oder zweimal, je nachdem welche Bahn wir gerade erwischen. I will sich nochmal melden, von dem Handy ihres Freundes. Ob wir auch gut angekommen sind. Doch wir sind bestens gewappnet. Ich proklamiere hier meine Erfahrung in diversen Städten. S vertraut mir voll und ganz, sie selber brauchte ein paar Anläufe bis sie mein Zuhause in Deutschland wiederfand. Mit I sind wir zudem den Weg von der Station zu unserem Hotel mehrmals gegangen und zusammen mit S schlendere ich durchs nächtliche Tokyo, im Gepäck etwas zu Essen. Wir machen es uns im Hotelzimmer gleich gemütlich mit Tee und dem, was wir noch in einem 7-eleven Convenience-Store besorgt haben. Im Hotelzimmer angekommen schreiben wir I, "Alles Gut, wir sind angekommen!" und schicken noch kurze Nachrichten nach Deutschland bevor wir uns mit Tee und Essen vollstopfen, um schließlich vollkommen geschafft auf dem Bett einzuschlafen.

Wieder ein Tag weniger für uns. Nur ein normaler Tag für Tokyo.

2 Kommentare:

  1. Ich war Anfang Juni in genau diesem Starbucks und habe genau das gleiche erlebt wie du. Ich hoffe, Du hast mehr von Japan gesehen, als Tokyo! Ich muss sagen, dass ich keine rechte Verbindung zu Tokyo aufbauen konnte, obwohl es viele schöne Viertel gibt, aber ohne japanischen Guide ist das alles zu groß und es fehlen jegliche Orientierungspunkte. Kyoto fand ich dagegen großartig! Warst Du da auch?

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    1. Ja es war surreal in dem Starbucks! Gott sei Dank hatten wir einen Guide :D Irinas Freund war auch Japaner, wir waren an ziemlich vielen Ecken. Aber es stimmt. Kyoto, wo wir auch für zwei Tage waren, hat das Flair, welches Tokyo fehlt. Kleiner, traditioneller, weniger kapitalistisch. Wir waren noch in Kobe, Osaka, Yokohama und auf Odaiba ;) Aber dazu wird es hoffentlich noch berichte geben! Wie gehts dir denn sonst so?

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